Die Landauer Straße
Städtebauliches Vorbild mit Gartenterrassen
Dr. Kurt Pallmann schrieb 1912 in dem Buch "Die Gartenkunst" über die Landauer Straße:
"Eine ganz eigenartige Straße ist da in Wilmersdorf bei Berlin entstanden; ein Werk der Berlinischen Boden-Gesellschaft. Solche Einheitlichkeit des Straßenbildes war uns bisher nur aus mittelalterlichen Städten bekannt und allenfalls aus englischen Gartenvorstädten und Landhaussiedlungen.
Eine tadellose städtebauliche Lösung nicht nur in Bezug auf die Anlage der ganzen Straße sowie des Platzes, als auch der Anpassung der Häuser an einen Typ, den Typ eines bürgerlich – eigenen, wohltuend einfachen Mietetagenhauses an einer Wohnstraße. Eine Wohnstraße im wahrsten Sinne des Wortes, keine Schau- und Fassadenstraße mit Posamentenbesatz.
Ein einheitlicher braungelber Mörtelputz, eine Farbe beherrscht die Häuserfluchten. Und diese Einheitlichkeit wird noch erhöht durch die gleichmässig festgesetzten Dachlinien und Dachneigungen. Ja, sogar die Brandmauern wurden in ihrem Überstand einbezogen, in die Dachfläche durch Verkleiden mit Dachziegeln.
Man glaubt, hier nicht in einer Millionenmetropole zu sein. Hier geht man wie in einer Dorfstraße".
Ein Kleinstadtidyll zaubert die Landauer Straße mitten in die Großstadt hinein, sie macht die Sehnsucht des Großstädters nach der Kleinstadt zu einer architektonisch gebundenen. Eine künstlerische Illusion ist eine reizvolle Schöpfung; hier wird man in einer in die Großstadt verpflanzten Gartenstadt wohnen! Weitab von dem Weichbild der Metropole werden sich dereinst Gartenstädte erheben. Denn das Problem der Gartenstadtbewegung ist immerhin erst ins Auge zu fassen.
Jedenfalls läßt sich im Weichbilde der Metropole die Sehnsucht nach Abendfrieden u. a. nur in der Form befriedigen, wie sie die Landauer Straße zeigt.
Die Straße (im Bebauungsplan nur 26 m breit) wird durch baupolizei-ordnungsmäßige Verlegung eines Teils des Hofes vor die Straßenfront zu einer 42 m breiten licht- und luftdurch-fluteten, ganz eigenartigen Straße gemacht. In dieser umfassenden Form ein Novum!
Aber selbst eine derartige Breitenabmessung ist für eine Metropole nichts Extravagantes - wir brauchen nur an die Straße "Unter den Linden" oder an die Boulevards in Brüssel oder in Paris zu denken.
Nein, einzigartig ist die Anordnung der so genannten Gartenterrassen, die sanft ansteigend ein Meer von saftigem Grün vor die Häuser breiten. Gartenterrassen in einer Breitenabmessung von 13 m, nur unterbrochen von den dreimal drei Granitstufen, welche zu den Hauseingängen führen.
Diesem Projekt gegenüber gab selbst das Ministerium des Innern sein starres Beharren auf einer engherzigen Baupolizeivorschrift auf. Denn der Kern der ganzen einheitlichen Straßenanlage liegt eigentlich in der Befreiung von den sogenannten (10 m) Bauwich (seitlicher Abstand der Häuser, der auf je 50 m in jener Gegend vorgeschrieben war).
Der Direktor der Gesellschaft, Georg Haberland (ein Mann mit autokratischem Kunstwollen) setzte dieselbe gemeinsam mit der Stadtgemeinde beim Ministerium durch. (Von hier nahm die Zusatzbestimmung zur Baupolizei-Verordnung für die Vororte von Berlin vom 6. September 1911 ihren Ausgang, welche wahlweise Reihenhausbebauung zuläßt).
In ihrer Eigenschaft als Gesamtwirtschafts-Persönlichkeit statuierte die Stadt Wilmersdorf gemeinsam mit der Gesellschaft in der Landauer Straße geradezu ein Exempel städtischer Siedlungspolitik sowie hervorragender Städtebaukunst.
Dieses Grün der Terrassen (die von den Häusern durch einen schmalen Gartensteg getrennt sind), setzt sich dann weiter fort in dem Stabwerk, an welchem Kletterrosen malerisch sich bis zum ersten Stock hinaufranken.
Eine unerhörte Einheit des Straßenbildes, das von dem Grün der Terrassen, von dem Frieden des Grünen beherrscht wird. Die Terrassen sollen auch die übrigen Straßen des weiter zu bebauenden Rheinischen Viertels schmücken, das schon jetzt im Volksmund die Bezeichnung "Gartenterrassenstadt" führt.
Die Terrassen wurden an Stelle der Vorgärten errichtet. Wen überkommt nicht bei dem Wort "Vorgärten" ein Gefühl des Missbehagens?! –
Diese konventionellen, übermannshohen Erbbegräbnisgitter mit riesenhaften Steinpfosten, die das Hausgewände den Blicken des Vorübergehenden verbergen. Wahre Orgien feierte das Guss- und Schmiedeeisenhandwerk.
Endlich zeigte einer, daß es auch mit einer einfachen malerischen Blumenbordüre, mit einer Bordschwelle geht. Niedrige Buchsbaumhecken sind für andere Straßen geplant, auch schattenspendende Lauben vor den Eingängen und vorgeschobenen Bastionen.
(Texte zur Landauer Straße: Dr. Kurt Pallmann, Die Gartenkunst, 1912, Bd. XIV, 5)